Prof. Dr. Dr. h.c. Jan-Dirk Mueller (LMU Muenchen, Vorsitzender der Kommission fuer deutsche Literatur an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften)

von englischen Kollegen erhielt ich die Nachricht, dass an Ihrer Universitaet die Stelle fuer deutsche Literatur des Mittelalters und der Fruehen Neuzeit wegfallen soll. Fuer die Zusammenarbeit englischer und deutscher Wissenschaftler ist das ein schwerer Schlag. Seit etwa vier Jahrzehnten gibt es regelmaessig alle zwei Jahre ein Kolloquium britischer und deutscher Mediaevisten, dessen Akten sich in der Fachwelt hervorragenden Ansehens erfreuen; ein Englaender und ein Deutscher standen lange Jahre an der Spitze der Wolfram-von-Eschenbach-Gesellschaft; zu meinen Vorgaengern als Herausgeber der angesehenen Beitraege zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) gehoerten ein Mediaevist aus Oxford; in der Kommission fuer deutsche Literatur des Mittelalters an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, deren Vorsitzender ich bin und die wohl weltweit das wichtigste Gremium fuer germanistisch-mediaevistische Forschungen ist, sitzt selbstverstaendlich ein Wissenschaftler aus Ihrem Land: Wir koennen einfach nicht auf die geisteswissenschaftliche Kultur Grossbritanniens verzichten und sind gluecklich ueber die vielfaeltigen Kontakte und Kooperationen, die sich hier in den letzten Jahren ergaben.
So ist es schmerzlich zu sehen, dass in einer der renommierten britischen Universitaeten die germanistische Mediaevistik dem Rotstift zum Opfer fallen soll. Es setzt sich damit ein Trend fort, den man leider auch hierzulande beobachten kann und dem sich Geisteswissenschaftler nach meiner Auffassung immer und ueberall energisch widersetzen sollten: die Beschneidung der historischen Dimension unserer Faecher. Auch bei uns sind Gegenwartsinteressen, vor allem auch die Lernziele der cultural studies allenthalben auf dem Vormarsch. Sie bedrohen auch in Anglistik und Romanistik – das entspricht Ihrem Fall – die mit aelterer Literatur beschaeftigten Fachteile. Bedenken Sie, dass auch Shakespeare ein Autor der Fruehen Neuzeit ist. Fuer einen Englaender ist es gewiss undenkbar, dass ein Autor dieses Ranges in entsprechende Diskussionen einbezogen wird (und ich darf Ihnen versichern, mir scheint es ebenfalls ungeheuerlich), aber wenn Anforderungen an den kuenftigen jungen Anglisten gestellt werden, dann ist ploetzlich auch Shakespeare eben ein toter weisser Autor, von dem man nicht allzuviel an Gegenwarts-Englisch lernen kann. Das Beispiel ist gewiss extrem, aber in bezug auf Chaucer, Chrétien, den Beowulf, die Chanson de Roland, den Cid, das Siglo de Oro usw. usw. hat es solche Diskussionen schon gegeben.
Ich denke, man muss sich ihnen widersetzen, wenn wir uns und unsere europaeische Kultur nicht aufgeben wollen. Nur nebenbei ist zu bemerken, dass das Sparpotential nicht allzu gross ist, verglichen mit den teuren Apparaturen in den Naturwissenschaften, deren oekonomischer Einsatz auch nicht immer ueber jeden Zweifel erhaben sind, die aber ein Vielfaches kosten. Natuerlich muessen Sie die Interessen Ihrer Institution vertreten, aber man sollte – und sei es ueber Zwischenloesungen, Hilfskonstruktionen usw. – versuchen zu retten, was zu retten ist. Was einmal verloren ist, kann so rasch nicht wieder eingerichtet werden.
In diesem Sinne moechte ich Sie und Ihre Fakultaet bitten, Ihren Vorschlag noch einmal zu ueberdenken und vielleicht auch in Betracht zu ziehen, wie wichtig Ihre Entscheidung nicht nur fuer Bristol, sondern fuer die Wissenschaft insgesamt, auch die in Deutschland, ist.

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