mit Befremden und Empoerung habe ich erfahren, dass meiner Kollegin Dr. Anne Simon von der Universitaet Bristol die Stelle gekuendigt wurde.
Voellig unverstaendlich ist mir das zum einen angesichts des hohen wissenschaftlichen Ranges von Dr. Anne Simon, deren Leistungen ich seit vielen Jahren schaetze und von deren Wertschaetzung durch die deutschen Fachkolleginnen und -kollegen ich weiss. Unverstaendlich und verfehlt ist zum anderen eine universitaetspolitische Entscheidung, welche das Fach Germanistik seiner historischen Dimension beraubt und auf ein unakademisches Niveau herunterdrueckt. Ein solcher Schritt duerfte kaum zum internationalen Renommee der Universitaet Bristol beitragen.
Category Archives: Letters of Support for Anne Simon
Statement Kerstin Pfeiffer, M.A. (University of Stirling)
Die enge Vernetzung der Mediaevistik ist deren besondere Staerke. In den langen Jahren, die ich nun schon in Schottland promoviere, ist mir immer wieder aufgefallen, dass gerade die Anglisten sich oft aus diesem Netzwerk “ausklinken”, was der Forschung auf manchen Gebieten deutlich zum Nachteil gereicht. Um ein Beispiel ‘close to home’ zu nennen: Im Bereich des spaetmittelalterlichen religioesen Schauspiels wird selten ueber den Tellerrand geschaut. Vieles, was in der kontinentaleuropaeischen Forschung zum deutschen oder franzoesischen Schauspiel inzwischen schon fast als alter Hut gilt, wird jetzt erst langsam in der Anglistik “entdeckt” bzw aufgenommen – etwa der Themenkomplex Emotionalitaet und Performativitaet. Ohne britische Germanisten, die ein Auge auf solche Entwicklungen haben, sie aufgreifen, mitgestalten, ihre Ergebnisse (auf Englisch) publizieren und sie so zugaenglich machen, wird das interdisziplinaere und internationale Forschen deutlich schwieriger. Denn leider kann man beim Otto Normalanglisten vielleicht Franzoesischkenntnisse voraussetzen (und gegebenenfalls ein wenig Latein), jedoch kaum Deutsch. Mit anderen Worten: Schliessungen wie die der deutschen Mediaevistik in Bristol haben meiner Meinung nach weitreichende Folgen fuer die Forschung auf anderen geisteswissenschaftlichen Gebieten.
Dr. Gisela Vollmann-Profe (Kathol. Univ. Eichstaett); Prof. Konrad Vollmann (Universitaet Muenchen)
Wir bedauern die Kuendigung von Frau Simon aufs aeusserste. Nicht nur, weil die Universitaet Bristol mit ihr eine hervorragende Wissenschaftlerin verliert, sondern weil wir ihr Ausscheiden auch als grossen Verlust fuer die mediaevistische Germanistik in England betrachten – und damit als ein falsches Signal fuer die bislang so produktive deutsch-englische Zusammenarbeit im Bereich der Mittelalterforschung.
Prof. Dr. Hartmut Bleumer (Universitaet Goettingen)
Frau Dr. Anne Simon ist eine sehr geschaetzte Kollegin, die mit ihrer Persoenlichkeit und ihren Forschungen einen wichtigen Beitrag nicht nur fuer die germanistische Mediaevistik, sondern auch fuer die Beziehungen zwischen englischen und deutschen Germanisten geleistet hat. Die Kuendigung ihres Vertrages ist darum mit allem Nachdruck zu kritisieren. Zugleich zeichnet sich mit diesem Schritt eine bedenkliche Erosion des historischen Bewusstseins ab. Wo ausgerechnet eine solche historische Erosion im langfristigen Interesse eines geisteswissenschaftlichen Institution liegen soll, hat eine solche Institution den Anfang ihres Endes schon beschlossen. Ich appelliere darum dringend dafuer, die Entscheidung ueber die Kuendigung von Frau Dr. Simon noch einmal zu ueberdenken.
Dr Tim Jackson (Trinity College Dublin)
I was extern examiner in German at Bristol from 1994 to 1997, during which time Dr Simon was my contact person (I am a medievalist too). At all times I was impressed by her commitment to her teaching function, to the students in her department and to fair but rigorous examining standards. Whatever information I required was sent promptly, procedural conventions were explained clearly and any problems on which I was asked to adjudicate were outlined succinctly. In my experience these vital organisational competences are not always found in one’s academic colleagues.
Over recent decades many posts for medievalists in these islands have been lost. However, the resulting reduction in the historical dimension is leading to an increasing two-dimensionality in what students are offered. At times German studies in Britain and Ireland seem to be little more than post-1945 cinema, as in the US they seem to be little more than Holocaust studies (both these subjects of course being wholly justifiable as part of a balanced programme). It is ironic that somebody like Dr Simon should be made redundant at just the time when the business and industrial sectors are belatedly making the point that (quite apart from any fancy notions of the desirability of a culturally sophisticated managerial class) the economy needs graduates with a competence in languages and the things that are appropriately studied with languages at university level.
If Bristol feels that it can dispense with the services of such a committed and competent teacher and researcher as Dr Simon, it must be truly rich in its resources of academic staff.
Prof. Dr. Franz-Josef Holznagel (Universitaet Rostock) and Prof. Dr. Elke Brueggen (Universitaet Bonn)
Es steht nun jeder akademischen Einrichtung frei, profilbildende Massnahmen einzuleiten und dabei ggf. Faecher oder Teilfaecher zu streichen; dies betrifft selbstverstaendlich auch den Entschluss der Fakultaet, die Mediaevistik und die Beschaeftigung mit der Sprache und der Literatur der fruehen Neuzeit abzubauen. Ob dies tatsaechlich im langfristigen Interesse der Germanistik in Bristol sowie der Artistenfakultaet und der gesamten Universitaet Bristol ist, das Fach Germanistik in dieser Weise zu amputieren, um nur noch die Schrumpfform einer historischen Disziplin anzubieten, muessen die Entscheidungstraeger in Bristol selbst beurteilen. Von aussen betrachtet ist dieser Entschluss nicht nachvollziehbar. Es ist vielmehr anzunehmen, dass diese Form der akademischen (Selbst)-Verstuemmelung dem Renommee einer international agierenden Forschungsuniversitaet schadet, die Akzeptanz der Germanistik an der Universitaet Bristol merklich verringert, die Chancen zu Forschungskooperationen im In- und wie im Ausland sowie zum internationalen Austausch von Studierenden erheblich beeintraechtigt und ggf. den Einstieg in die gaenzliche Abwickelung des Fachs Germanistik darstellt.
Dass diese wenig nachvollziehbare Strukturentscheidung ueberdies noch damit verbunden wird, dass eine verdiente, im deutsch-englischen Wissenschaftsaustausch hochgradig akzeptierte und enorm beliebte Kollegin aus dem Dienst herausgedraengt werden soll, ruft unsere Empoerung hervor. Schliesslich ist Dr. Ann Simon (wie ihre Publikationen zu Pilgerberichten, zur Literatur der Stadt Nuernberg und ihre Forschungen zum "Ritter vom Turm" zeigen) seit Jahren eine anerkannte Spezialistin fuer die Geschichte der Reiseberichte, der deutsch-franzoesischen Literaturbeziehungen und der Erforschung regionaler Zentren der Produktion und Rezeption von Literatur. Ausserdem hat sie immer wieder dazu beigetragen, dass der aussergewoehnlich gute Austausch der deutschen und der englischsprachigen Altgermanistik, wie er sich in den zweijaehrlich stattfindenden und renommierten "Anglo-German Colloquien" bekundet, weiter entwickelt worden ist. In diesem Zusammenhang ist z.B. auf den von ihr mit-herausgegebenen und viel beachteten Sammelband ueber "Autorschaft im Mittelalter" zu verweisen, der die wichtige Diskussion ueber die Kategorien 'Autor' und 'Werk' im deutschsprachigen Mittelalter und ihre Historisierung gebuendelt und neue Perspektiven fuer die weitere Forschung dieser zentralen Analysekategorien bereit gestellt hat. Aus den dargelegten Gruenden bitten wir den Dekan der Artistenfakultaet der Universitaet Bristol mit grossem Nachdruck darum, die getroffenen Entscheidungen zu revidieren.
Prof. Dr. Ina Karg (Universitaet Goettingen)
Mit grossem Befremden erfahre ich soeben von den Absichten der Universitaet Bristol, den Bereich Mittelalter und Fruehe Neuzeit in den “German Studies” durch die Entlassung von Frau Dr. Anne Simon abzuwickeln. Nicht nur ist Frau Kollegin Simon in diesem Bereich durch ihre wissenschaftlichen Arbeiten sehr gut ausgewiesen, ihre Beitraege und ihr wissenschaftliches Engagement sind auch eine wesentliche Komponente in der Vernetzung deutscher und britischer Germanistik/Mediaevistik. Abgesehen davon richtet sich dieser Protest gegen eine Vorstellung von Wissenschaft auf ausschliesslich oekonomischer Basis, die jeder Sachkompetenz entbehrt und zur Konsequenz hat, dass entscheidende Faktoren historischen Wissens, europaeischer Identitaetsbildung und kultureller Selbstdefinition dann in Zukunft nicht mehr wissenschaftlich bearbeitet werden und damit fuer eine nachwachsende Generation nicht mehr zur Verfuegung stehen werden. Der Deutsche Germanistentag 2010, der vor kurzem in Freiburg/Br. stattfand, hat sich in seiner Sektion II gerade dieser Verantwortung der Germanistik in ihrem Wissenschaftsverstaendnis eingehend gewidmet.
Prof. Dr. Horst Brunner (Universitaet Wuerzburg)
Die britische germanistische Mediaevistik war noch vor wenigen Jahren die weitaus bedeutendste Altgermanistik ausserhalb des deutschen Sprachraums. Aus dieser Zeit gibt es immer noch eine Reihe hochqualifizierter Fachvertreter, zu denen Dr. Anne Simon gehoert als eine international hoch angesehene und in Fachkreisen aufgrund ihrer Publikationen allgemein bekannte und geschaetzte Forscherin und akademische Lehrerin. Es ist freilich zu befuerchten, dass der jetzige Abbau mediaevistischer Stellen nur ein Schritt zum voelligen Abbau der modernen Fremdsprachen an den britischen Universitaeten sein wird – Symptom eines beispiellosen kulturellen Niedergangs unter dem gnadenlosen Regime von nur dem business verpflichteten Managern. Aus meiner Sicht muss alles getan werden, um den Verbleib von Frau Simon auf ihrer Stelle zu sichern.
Prof. Dr. Dr. h.c. Jan-Dirk Mueller (LMU Muenchen, Vorsitzender der Kommission fuer deutsche Literatur an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften)
von englischen Kollegen erhielt ich die Nachricht, dass an Ihrer Universitaet die Stelle fuer deutsche Literatur des Mittelalters und der Fruehen Neuzeit wegfallen soll. Fuer die Zusammenarbeit englischer und deutscher Wissenschaftler ist das ein schwerer Schlag. Seit etwa vier Jahrzehnten gibt es regelmaessig alle zwei Jahre ein Kolloquium britischer und deutscher Mediaevisten, dessen Akten sich in der Fachwelt hervorragenden Ansehens erfreuen; ein Englaender und ein Deutscher standen lange Jahre an der Spitze der Wolfram-von-Eschenbach-Gesellschaft; zu meinen Vorgaengern als Herausgeber der angesehenen Beitraege zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB) gehoerten ein Mediaevist aus Oxford; in der Kommission fuer deutsche Literatur des Mittelalters an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, deren Vorsitzender ich bin und die wohl weltweit das wichtigste Gremium fuer germanistisch-mediaevistische Forschungen ist, sitzt selbstverstaendlich ein Wissenschaftler aus Ihrem Land: Wir koennen einfach nicht auf die geisteswissenschaftliche Kultur Grossbritanniens verzichten und sind gluecklich ueber die vielfaeltigen Kontakte und Kooperationen, die sich hier in den letzten Jahren ergaben.
So ist es schmerzlich zu sehen, dass in einer der renommierten britischen Universitaeten die germanistische Mediaevistik dem Rotstift zum Opfer fallen soll. Es setzt sich damit ein Trend fort, den man leider auch hierzulande beobachten kann und dem sich Geisteswissenschaftler nach meiner Auffassung immer und ueberall energisch widersetzen sollten: die Beschneidung der historischen Dimension unserer Faecher. Auch bei uns sind Gegenwartsinteressen, vor allem auch die Lernziele der cultural studies allenthalben auf dem Vormarsch. Sie bedrohen auch in Anglistik und Romanistik – das entspricht Ihrem Fall – die mit aelterer Literatur beschaeftigten Fachteile. Bedenken Sie, dass auch Shakespeare ein Autor der Fruehen Neuzeit ist. Fuer einen Englaender ist es gewiss undenkbar, dass ein Autor dieses Ranges in entsprechende Diskussionen einbezogen wird (und ich darf Ihnen versichern, mir scheint es ebenfalls ungeheuerlich), aber wenn Anforderungen an den kuenftigen jungen Anglisten gestellt werden, dann ist ploetzlich auch Shakespeare eben ein toter weisser Autor, von dem man nicht allzuviel an Gegenwarts-Englisch lernen kann. Das Beispiel ist gewiss extrem, aber in bezug auf Chaucer, Chrétien, den Beowulf, die Chanson de Roland, den Cid, das Siglo de Oro usw. usw. hat es solche Diskussionen schon gegeben.
Ich denke, man muss sich ihnen widersetzen, wenn wir uns und unsere europaeische Kultur nicht aufgeben wollen. Nur nebenbei ist zu bemerken, dass das Sparpotential nicht allzu gross ist, verglichen mit den teuren Apparaturen in den Naturwissenschaften, deren oekonomischer Einsatz auch nicht immer ueber jeden Zweifel erhaben sind, die aber ein Vielfaches kosten. Natuerlich muessen Sie die Interessen Ihrer Institution vertreten, aber man sollte – und sei es ueber Zwischenloesungen, Hilfskonstruktionen usw. – versuchen zu retten, was zu retten ist. Was einmal verloren ist, kann so rasch nicht wieder eingerichtet werden.
In diesem Sinne moechte ich Sie und Ihre Fakultaet bitten, Ihren Vorschlag noch einmal zu ueberdenken und vielleicht auch in Betracht zu ziehen, wie wichtig Ihre Entscheidung nicht nur fuer Bristol, sondern fuer die Wissenschaft insgesamt, auch die in Deutschland, ist.
Prof. Dr. Sabine Schmolinsky (Universitaet Erfurt)
ich bin entsetzt und empoert ueber die Entlassung von Anne Simon, von der ich erst durch Dich erfahren habe; bisher wusste ich nur von gravierenden Einsparungen im britischen Wissenschaftssystem. Es stellt zudem eine besonders bittere Erkenntnis dar, dass Universitaeten in einem der aeltesten, die europaeische Kultur mitpraegenden Laender auf die Erforschung und Weitergabe laenderuebergreifender kultureller Vergangenheit keinen Wert mehr zu legen vermoegen, und dies zu Zeiten, in denen sich in der Wirtschaft die Ansicht auszubreiten beginnt, dass man eben nicht auf Mitarbeitende mit geistes- und kulturwissenschaftlicher Ausbildung verzichten kann. Im Fall von Anne Simon kommt noch erschwerend hinzu, dass sie eine Forscherpersoenlichkeit ist, die in besonderem Mass Interkulturalitaet verkoerpert und die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Grossbritannien und Deutschland pflegt. Als Mediaevistin stelle ich mit Bedauern fest, dass die Universitaet Bristol ihrer Forschung zu Mittelalter und Vormoderne einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zufuegt, wenn sie nur noch eine Germanistik der Moderne zu betreiben gedenkt. Diese ihre Entscheidung erschwert in besonderem Mass, internationale wissenschaftlich-mediaevistische Kontakte mit ihr zu pflegen.